Elternverband Ruhr e.V.
Unterdorfstr. 19
45143 Essen
An die Ministerin
Barbara Sommer
Ministerium für Schule und Weiterbildung
des Landes NRW
Völkingerstr 49
40221 Düsseldorf
14.12.2008
Das neue Schulgesetz-kommentiert vom Elternverband Ruhr
Sehr geehrte Frau Ministerin Barbara Sommer,
im Folgenden wollen wir das neue Schulgesetz in drei wesentlichen Punkten, hinsichtlich Ihrer Auswirkungen auf Kinder mit Migrationshintergrund kommentieren.
Individuelle Förderung:
Kinder mit oder ohne Migrationshintergrund aus einfachen sozialen Verhältnissen erleben ein geringeres familiäres Anregungsmilieu (es wird weniger gelesen, weniger gefördert, wenig Interessenbildung) und bilden im Durchschnitt ihre sprachliche als auch kognitive Intelligenz weniger gut aus. Daraus ergeben sich schwächere Schulleistungen und verhindert somit den Aufstieg in höhere Schulformen (Tillmann 2001). Das primäre Ziel der individuellen Förderung sollte daher die Verminderung dieser sogenannten primären sozialen Ungleichheit sein (Baumert/Schubert 2001, Breen 1997). Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien, vor allem aber Kinder mit Zuwanderungsgeschichte, bedürfen der individuellen Förderung. Die Kinder sollten jedoch von da abgeholt werden woher Sie kommen. Individuelle Förderung von Migrantenkindern heißt auch Akzeptanz der Kultur, der Sprache und der Eigenarten, welche die Kinder mitbringen. Berücksichtigt das Konzept des Ministeriums auch diese individuellen Entwicklungspotentiale von Kindern mit Migrationshintergrund?
Vorschulische Sprachförderung:
Vorbildhaft hat das Land NRW die vorschulische Sprachförderung von Kindern stärker in den Vordergrund gerückt. Unter dem Gesichtspunkt, dass eine altersgemäße Sprachentwicklung und die Beherrschung der Deutschen Sprache Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernen sind, wurde mit einer gezielten vorschulischen Sprachförderung begonnen. Der Ansatz der vorschulischen Sprachförderung ist ein wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg. Die freigesetzten Mittel, die für eine Förderung von Sprachdefiziten in Kindertageseinrichtungen vorgesehen sind, reichen jedoch bei weitem nicht aus, um eine gezielte Förderung zu ermöglichen. Hier sind professionelle Sprachtherapeuten, zumindest aber die qualifizierte Ausbildung der Erzieherinnen notwendig, damit Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen schneller erkannt und somit einer gezielten Sprachförderung zugeleitet werden können. Wir wollen hier die Fragen stellen was unter „altersgemäßer“ Sprachentwicklung verstanden wird und ob dies nur für die Sprachkompetenz in Deutsch gilt? Wie verfährt das Ministerium mit Kindern die keine altersgemäße Entwicklung in ihrer allgemeinen Sprachentwicklung haben?
Regelung zum Grundschulübergang:
Die Verbindlichkeit des Grundschulgutachtens wurde im Interesse „des Kindeswohls“ erhöht. Hierdurch sollte die zu hohe Zahl der Schulformwechsel in der Sekundarstufe I verringert werden. Die hohe Zahl der Schulformwechsel begründet nicht die Schwächung des Elternwillens, denn wie Dr. Block (Universität Essen) anhand der Pisa-Daten zeigen konnte, wirken sich Grundschulempfehlungen nicht nur hochgradig sozial selektiv aus, erweisen sich zudem auch als wenig verlässlich. Nach Block sei das Risiko, an einer falschen Schule zu landen aufgrund einer unzutreffenden Grundschulempfehlung rund 24-mal höher als aufgrund übersteigerter Erwartungen der Eltern. Vielmehr wirken sich die Grundschulgutachten sozial selektiv, da sie Schülern „bei gleicher Leistungsfähigkeit, aber unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedliche Übergangsempfehlungen ausstellen". Baumert und Schümer (2001) haben zudem herausgefunden, dass Akademikerkinder, bei gleicher Intelligenz und gleichen Leseleistungen, immer noch eine dreifach höhere Chance haben, ein Gymnasium zu besuchen als Arbeiterkinder.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass von der Einschränkung des Elternwillens und damit der Stärkung der Schule im Bezug auf die Grundschulempfehlung am stärksten die Schüler mit Migrationshintergrund betroffen sind. Dies wird wiederum die bisherige soziale Selektionspraxis im hiesigen Schulsystem noch weiter verstärken. Hier die Frage, was das Ministerium gedenkt zu tun um diese Soziallastigkeit der Grundschulempfehlungen einzuschränken?
Unser Schlussplädoyer:
Individuelle Förderung sollte allen Kindern, mit all Ihren individuellen Werten, zugute kommen. Die Analyse der Sprachdefizite von Kindern im Vorschulalter sollte nicht nur ein Programm zur Aufdeckung von Defiziten im Deutschen sein. Vielmehr sollte die allgemeine Sprachentwicklung des Kindes, unter Einbeziehung auch der Primär- und Familiensprachen, berücksichtigt und gezielt gefördert werden. Die Soziallastigkeit der Grundschulempfehlungen sollte stärker eingegrenzt und der Elternwille wieder gestärkt werden.
Mit freundlichen Grüssen
Dr. Ali Sak